Puh… eine Geschichte über Abschied und Tod sollte ich schreiben für Ab unter die Erde. Nicht einfach… und doch irgendwie wieder schon.
Es wird persönlich… es geht über Lebenswillen und Trauer
Ich arbeite als freie Trau- und Trauerrednerin. Und letztes Jahr wurde ich als Traurednerin gebucht, weil ich eben auch Beerdigungen halte. Und als ich das Brautpaar das erste Mal traf, wusste ich zwar, dass der Bräutigam an Leukämie erkrankt ist, aber wie Andy mir so gegenübersaß, hatte ich das Gefühl gerade einen kerngesunden Arbeitsjunkie kennenzulernen. Das Traugespräch fand dann bereits drei Wochen später, vor mittlerweile genau einem Jahr, statt.
Ich bin selber unheimlich positiv eingestellt und der Tod hat für mich keinen Schrecken. Eher empfinde ich ihn immer wieder auch als Erlösung, als Erleichterung. Aber Andy? Andy erklärte mir voller Begeisterung, dass man im Leben niemals aufgeben darf. Dass das Leben eine Herausforderung ist, der man sich stellen muss und dass, er nicht vorhat sich von seiner Krankheit so schnell einholen zu lassen. Schließlich wolle er ja noch mit Bianca alt und grau werden und dann gemeinsam irgendwo in der Sonne in einer Hollywoodschaukel sitzen und ein kühles Bierchen trinken. Außerdem würde er doch viel zu gerne arbeiten und das könne er doch nicht einfach mit noch nicht einmal 36 schon sein lassen.
Ironie des Schicksals
Ich habe mich die letzten Monate (der letzte Kontakt mit einem ganz langen Telefonat war kurz vor Weihnachten) nicht getraut anzurufen oder zu fragen, wie es Andy geht, wenn ich ehrlich bin. Aber gestern kam eine Mail, auf Grund derer ich dann mit Andy und Bianca telefonierte. Er erklärte mir, dass ihm die Ärzte bereits vor einem halben Jahr nur noch ein bis drei Monate gegeben hatten. Und er meinte trocken „Denen habe ich aber sinnbildlich den Stinkefinger gezeigt, immerhin habe ich es schon sechs Monate jetzt geschafft. Und seit einer Woche bin ich in einer klinischen Studie als einziger Mensch weltweit. Die dauert zwei Jahre und die will ich definitiv überleben.“
Von diesem Lebenswillen war und bin ich begeistert. Und ich würde mir, mit der in mir selbst vorhandenen Stärke, am liebsten ganz viele Scheiben von seinem Lebenswillen und seinem positiven Denken abschneiden. Das habe ich ihm gestern auch wieder gesagt. Er fing dabei zu weinen an und meinte mit seiner mittlerweile gebrochenen Stimme „Ach Michaela, zu wissen, dass du meine Trauerrede halten wirst, ist das, was mich heute noch froh macht. Weil ich weiß, dass du es genau in meinem Sinne machst.“ Und witzelte danach gleich wieder während er sagte „Dir ist aber schon klar, dass du auf diesen Moment noch zwei Jahre warten musst, gell? Ich will schließlich eine lebensgroße Statue vor der Klinik in München zur Erinnerung an den tapferen Kämpfer für alle Leukämie-Kranken. Und die kriege ich sicher nicht, wenn ich vor dem Ende der Studie sterbe.“
Trauere ich jetzt auch?
Wie wir das Telefonat beendet hatten, saß ich vollkommen ruhig und in Gedanken versunken auf meiner Couch. Fuck verdammt, warum erwischt es eigentlich immer die Falschen? Mir kam genau diese Frage in den Kopf, die die Angehörigen mir als Trauerrednerin gegenüber so oft stellen. Und für die ich nie eine Antwort habe. Weil es dafür keine Antwort gibt. Weil das Leben nicht immer gerecht ist.
Aber ich weiß eines: Andy bekommt die beste Party und die beste Rede ever – weil er beides verdient hat. Weil er mir zeigt, dass das Leben in jedem Zustand und mit jeder Krankheit mega lebenswert ist. Und dass es auf die innere Einstellung ankommt, wie man damit umgeht. Er und Bianca könnten schon lange vor Trauer und vor Angst die Hoffnung auf ein angenehmes und schönes Leben (zu zweit) aufgegeben haben. Und doch, beide tun es nicht. Trauer und Angst können auch stark machen und zusammenschweißen.
Andy, ich danke dir für jede Begegnung, jedes Wort und jedes Lachen mit dir. Und ich weiß, dass ich an diesem Tag X mehr wie traurig sein werde, dass es dich nicht mehr auf dieser Welt gibt. Eben, weil du sie einfach besser gemacht hast. Danke dafür im Namen all der Menschen, die dich kennen und schätzen. Danke für deinen Lebenswillen und deine Stärke. Und danke auch im Namen all der Menschen, die du mit deinem Mut für die Studie vielleicht retten kannst.
Und ja, ich bin traurig
Jetzt beim Schreiben laufen mir doch ein paar Tränen runter… weil es mich traurig macht. Und ja, das nennt man Trauer. Egal wie viel Lebenswillen ich oder jemand andres hat. Außerdem bin ich ehrlich – am Tag X werde ich genau wie alle andren Anwesenden mit meinen Tränen kämpfen. Weil mich Andy ganz tief in meinem Herzen und in meinem Sein berührt hat. Und gibt es etwas Schöneres, was andere Menschen über eine verstorbene Person sagen können? Ich finde nein.